Leben wir in einem globalen 'Finanzmarktkapitalismus'? Diese gängige Auffassung bestimmt die theoretische und politische Diskussion, ohne je wirklich hinterfragt worden zu sein. Im vorliegenden Buch wird zunächst der empirischen These, die Finanzmärkte seien aufgebläht und dominierten die Realökonomie, widersprochen. Die Mehrzahl der Aktienmärkte zeigen eher volatile Seitwärtsbewegungen als dauerhafte Kurzanstiege. Auch die Derivatemärkte weisen trotz ihres dynamischen Wachstums nicht die häufig angenommene unmäßige Entwicklung auf; zudem sind sie keineswegs von den Realmärkten entkoppelt. Bei der Analyse der Krise 2007/09 und des zyklischen Erholung seit 2009 wird die Bedeutung von Strukturentwicklungen in der Realökonomie und von politischen Steuerungseingriffen systematisch unterschätzt.
Auch in theoretischer Hinsicht können eng mit der Finanzmarktkapitalismus-These zusammen hängende Interpretationsfolien wie die einer 'großen' oder 'multiplen' Krise nicht überzeugen. Die Auffassung, die gegenwärtige Krise sei im Rahmen des (neoliberalen) Kapitalismus nicht zu überwinden, knüpft an ältere und sich immer wieder als vorschnell erweisende krisenfixierte Analysen an und nimmt eine mögliche Revitalisierung des Kapitalismus kaum in den Blick. Das Untersuchungsobjekt ist leider vitaler als erwünscht und hat linke Analytiker ständig mit offenkundigen Fehlurteilen gestraft. Nicht zuletzt widersprechen die Autoren der Meinung, mit dem Finanzmarktkapitalismus habe sich eine neue Formation des Kapitalismus herausgebildet. Hier zeigen sich unerwartete Gemeinsamkeiten mit älteren Theorien des Staatsmonopolistischen Kapitalismus und auch der Bezug auf Regulationstheorien steht einem vorurteilslosen Blick auf die politisch-ökonomische Geschichte im Weg. Als Alternative zur These eines Finanzmarkkapitalismus nutzen die Autoren den Begriff der Finanzialisierung: Unternehmen und politische Akteure nutzen verschiedene Finanzinstrumente für die Umsetzung ihrer jeweils spezifischen Interessen. Die sich hier zeigenden neuen Entwicklungslinien im Kapitalismus zeigen keine Abkopplung des Finanz- vom Realbereich, sondern deren Verkopplung.
Das Buch ruft dazu auf, dass sich linkes analytisches Denken eine große Unvoreingenommenheit bewahren sollte, um nicht von überraschenden Entwicklungen des Kapitalismus überrollt zu werden und inadäquaten politischen Strategien zu folgen.