1 | Peter Sloterdijk: Wenn die Gewalt erscheint - Versuch über die Explosivität der Bilder
Sendung: 26.12.1994
Urszenen der Gewalt finden sich bereits in der griechischen Mythologie. Der blutige Streit zwischen Thyestes und Atreus findet seinen Höhepunkt, als letzterer dem Bruder die eigenen Kinder zum Mahl vorsetzt. Als er erkennt, was ihm widerfahren ist, erbricht sich Thyestes und verflucht den Atreus. Mit diesem Zurückholen und Herausschleudern der Gewalt wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, der die ganze Sippe in Mitleidenschaft zieht: Aigisthos tötet Atreus, Orest tötet Aigisthos und seine Mutter Klytaimnestra. Auch Homers Ilias stellt von Anfang an den Zorn des Achill als Leitmotiv in den Vordergrund. Im Furor des Achill bricht eine Gewalt auf, die ein höheres Recht beansprucht. Zu Beginn des europäischen Geschichtenstroms stehen damit die Gewalt und der Zorn. Es handelt sich dabei um keine unbeteiligte Gewalterinnerung, vielmehr fungiert der Erzähler als ihr Komplize. Bis heute sind das thyestische und das achilleische Muster wirkmächtig. Das Kino ist zum Kultraum der Gewalt geworden. Im Horrorfilm kommt die Gewalt aus den Grüften und toten Leibern, die Zukunft aus der Vergangenheit, der Actionfilm predigt eine Theologie der Explosion und die Botschaft, nach der es natürlich und herrlich ist, ein Vernichter zu sein.
2 | Gunnar Heinsohn: Jung, aggressiv und engagiert - Die Wut der Söhne und der Terrorismus
Sendung: 01.06.2007, SWR
Man diskutiert über den Islamismus und dessen Ideologie, über den Dschihad oder den Nihilismus der Selbstmordattentäter. Ausgeblendet wird dabei ein Erklärungsmuster, das äußerst hilfreich sein kann bei der Analyse des internationalen Terrorismus. Es geht um die Demografie, um die Tatsache, dass in manchen Ländern junge, aggressive Männer dominieren, die ein großes Gewaltpotenzial besitzen und anfällig sind für die Ideologien der islamistischen Terroristen. Statistisch signifikant ist die "youth bulge", eine Ausstülpung der Alterspyramide der ab 15jährigen auf über 20 Prozent. Im Irak beispielsweise kommen im Schnitt sechs bis acht Kinder pro gebärfähiger Frau auf die Welt. Hier entsteht ein Potential, das zu Krieg und Völkermord führt. Die Jugendlichen sind größtenteils ausreichend ernährt, wachsen jedoch in einer Gesellschaft auf, die ihnen keine Statusperspektiven bieten kann, gehobene Positionen lassen sich nicht ebenso stark vermehren wie Nahrung. Die Fixierung auf die Erstgeborenen tut ein Übriges, vor allem die dritten und vierten Kinder bilden eben jenes gefährliche Potential.