Leseprobe:
Ich starrte auf die Tanzpaare. Ich hasste nichts mehr als diese Zeit der Lovesongs in jeder Disco. Ich fühlte mich einsamer denn je und verspürte den Wunsch, auch so in den Armen eines Jungen zu liegen, für einmal so zu sein wie die andern, anerkannt, begehrt ?
Da stockte mir der Atem. Direkt vor meiner Nase tanzte mein alter Schwarm Tim mit einem hübschen, langbeinigen und langhaarigen Mädchen. Und jetzt küssten sie sich.
Ich sah rasch in eine andere Richtung. Dann ließ ich Maria zurück, die immer noch vor sich hinträumte, ging wieder zur Bar und trank auf einem Barhocker ein neues Bier. Die Flüssigkeit rann kühl und beruhigend durch meine Kehle. Wie dumm ich doch bin, dachte ich; was geht mich denn dieser eingebildete Tim an? Es ist mir doch im Grunde ganz egal, was er treibt, soll er doch knutschen, mit wem er will. Und all die anderen, die mich nicht beachten; sie sind es nicht wert, dass ich nur einen Gedanken an sie verliere. Ich brauche sie nicht. Ich brauche niemand.
Ich leerte meinen Bierbecher und bestellte einen neuen. Eine schwere Müdigkeit lastete auf mir, mein Kopf war wie in eine Wolke gebettet, ganz von fern sah ich die sich langsam bewegenden Gestalten, gespenstisch, verwischt. Meine Gedanken schweiften ab, waren weit weg, waren nicht mehr meine Gedanken, keine Gedanken mehr, nur noch ein leerer Kopf in Watte gehüllt. Das bin nicht mehr ich, das ist eine andere Lucy, die da an der Bar sitzt und Bier trinkt.
Ein Junge hat sich neben mich gesetzt. Wie lange ist er schon da? Er sieht mich an. Er fordert mich zum Tanz auf. Ein Wunder? Ein Traum? Eine fremde Lucy liegt auf der Tanzfläche in den Armen eines Unbekannten. Ihr Kopf an seiner Schulter. Ich werde langsam hin und her gewiegt. Geruch nach Schweiß und Bier. Er sagt etwas in mein Ohr. Wir tanzen lange.
Mit wem tanze ich? Egal. Ich stelle mir vor, ich tanze mit Tim. Plötzlich zucke ich zusammen. Nein. Ich will nicht mit Tim tanzen. Ich will auch nicht mit diesem Fremden tanzen. Ich will gar nicht tanzen. Ich will nach Hause. Ich will, dass Ron mich holt. Ich will zu Ron. Ich will mit Ron tanzen. Nur mit Ron.
Für eine Weile fühlte ich mich wie erschlagen von dieser Erkenntnis. Plötzlich war ich wieder hellwach. Für ein paar Sekunden rasten meine Gedanken. Dann bemerkte ich, dass ich Kopfschmerzen hatte. Schreckliche Kopfschmerzen. Nicht mehr denken. Bloß nicht mehr denken.
Sanft werde ich hin und her gewiegt. Ich tanze mit Ron. Er küsst mich.
Ich schreckte zurück und stieß meinen Partner von mir. Es war nicht Ron, der mich küsste. Der Typ umfasste meine Taille und zog mich wieder an sich. Er küsste mich noch einmal. Ich wollte mich wehren, aber ich war zu erschöpft dazu. Ich wollte nach Hause, zu Ron. Wenn es nur schon vorbei wäre ?
Eine Hand legte sich auf meine Schulter. "Es ist halb zwei. Kommst du?"